Täuschendes Verhalten ist nichts, was den Menschen einmal wieder in negativer Weise aus der Tierwelt heraushebt. Große Menschenaffen tun es, Schwalben und Frösche auch. "Wir haben es bei der Lüge möglicherweise mit einem uralten Naturerbe zu tun", sagt der Evolutionsbiologe Volker Sommer. Die Lüge hilft Individuen in einer großen Herde, trotz großer Konkurrenz um Futter und Fortpflanzung mehr für sich herauszuschlagen. Erst einmal ist das ein egoistischer Zweck. Aber wer die Fähigkeit, sich in andere hineinzudenken nicht meistert, der zeigt ein Entwicklungsdefizit, erklärt die Kinderpsychologin Tina Malti. Das Wissen, dass andere nicht das gleiche wissen und denken wie ein Menschm, ist ein fundamentaler Schritt für Kinder und die Basis der Lüge. Und die muss nicht immer einen spaltenden Charakter haben. Die Lüge ist ein soziales Werkzeug, das benötigt wird, um in den großen Gruppen, in denen die Menschen leben, navigieren zu können. Indem man das Innerste nicht jederzeit offenbaren muss. Aber auch, indem man mit prosozialen Lügen die Gefühle anderer schützt, da, wo die Wahrheit schmerzhafter wäre. Und dann ist da noch die These, dass die Enttarnung von Lügen von Kindheit an zu kritischem Denken erzieht. Ohne schädliche Lügen weißwaschen zu wollen, die Fähigkeit zur Täuschung eröffnet durchaus auch die Chance, die Welt ein bisschen besser zu machen. Nicht nur für den Einzelnen, sondern für alle.